- Medizinnobelpreis 1970: Julius Axelrod — Ulf von Euler — Bernard Katz
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Die drei Neurophysiologen und Neuropharmakologen erhielten den Nobelpreis »für ihre Entdeckungen der humoralen Transmitter in den Nervenenden und der Mechanismen der Speicherung, Freisetzung und Inaktivierung«.BiografienJulius Axelrod, * New York 30. 5. 1912; 1935-46 Chemiker am Gesundheitsamt von New York, 1946 Forschungsassistent am Goldwater Memorial Hospital in New York, 1949 dort am National Heart Institute, 1955 Promotion, Leitender Pharmakologe am National Institute of Mental Health in Bethesda.Ulf von Euler, * Stockholm 7. 2. 1905, ✝ Stockholm 18. 3. 1983; 1930 Abschluss des Medizinstudiums und Assistenzprofessur am Karolinska Institut in Stockholm, 1931 Aufenthalt in London, 1939 Professor für Physiologie am Karolinska Institut.Sir (seit 1969) Bernard Katz, * Leipzig 26. 3. 1911; 1934 Abschluss des Medizinstudiums in Leipzig, 1935 Emigration nach England, 1938 Promotion am University College in London, 1939 Sydney, 1946 Rückkehr nach London, seit 1952 Professor für Biophysik am University College London.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie Signale der Nervenzellen sind elektrische Impulse, die entlang den Nervenfasern fortgeleitet werden. Aber wie geschieht die Signalübertragung von einer Nervenzelle auf eine andere, im Gehirn und im peripheren Nervensystem? Und wie erreichen die Nervensignale schließlich eine Muskel- oder Drüsenzelle, sodass sich als Antwort auf das Nervensignal ein Muskel anspannt oder eine Sekretion beginnt?Das AcetylcholinDer spanische Histologe Santiago Rámon y Cajal (Nobelpreis 1906) hatte bereits im 19. Jahrhundert feine Verdickungen an den Kontaktstellen zwischen Nervenfasern beschrieben, die von Charles Sherrington (Nobelpreis 1932) »Synapsen« genannt worden waren. Auch die Kontaktstellen zu Muskel- und Drüsenzellen zeigen eine solche Kolbenform. Mitte der 1920er-Jahre hatten Otto Loewi und Henry Dale (Nobelpreis 1936) gezeigt, dass ein chemisches Signal, ein Botenstoff, der später als Acetylcholin identifiziert wurde, das Signal des Herznervs (Nervus vagus) auf den Herzmuskel überträgt. In den folgenden Jahren entzweiten sich Pharmakologen und Physiologen, ob diese Ergebnisse am Vagus, also im autonomen Nervensystem, auch auf andere Kontaktstellen, ja vielleicht auf die Kontakte der Nerven untereinander zu übertragen wären. Allen voran stritt in England der Elektrophysiologe John Eccles (Nobelpreis 1963) gegen Dale für eine elektrische Signalübertragung. Als in den 1950er-Jahren neue Mikrountersuchungstechniken zur Ableitung von elektrischen Potenzialen aus einzelnen Nervenzellen entwickelt wurden, begannen Paul Fatt und Bernard Katz im Labor von Eccles die elektrischen Vorgänge einer Nerv-Muskel-Kontaktstelle aufzuzeichnen. Bald stellte sich heraus, dass nicht nur die Erregungsübertragung zwischen Nerv und Muskel über einen chemischen Weg lief, sondern auch die zwischen Nerven untereinander im peripheren und im zentralen Nervensystem. Allerdings zeigten später weitere Studien, dass es neben diesen Synapsen mit so genannter humoraler Erregungsübertragung auch Synapsen gibt, in denen die Erregung ohne die für die chemische Übertragung typische zeitliche Verzögerung rein elektrisch von einer auf die andere Zelle übergeht.Die mikroelektrischen Ableitungen der Potenziale von der Nerv-Muskel-Kontaktstelle, der so genannten motorischen Endplatte, zeigten dabei nicht nur typisch große, negative Entladungen, die aus dem Nervensignal den Kontraktionsimpuls der Muskelzelle machen, sondern auch ohne ankommendes Nervensignal kleine, spontane Potenziale. Diese spontanen, so genannten Miniaturpotenziale der motorischen Endplatte, die immer, aber in unregelmäßiger Frequenz auftraten, hatten dasselbe Aussehen wie die großen Signalpotenziale en miniature: Sie zeigten denselben schnellen Anstieg und klangen etwas langsamer ab. Vor allem aber traten sie nicht mit beliebigen Potenzialgrößen auf, sondern zeigten definierte Potenzialsprünge. Bei jedem dieser Potenziale wurde auf einen Schlag eine stabile Größe von mehreren tausend Botenstoff-Molekülen freigesetzt.Die NeurotransmitterDie Versuche von Katz bestätigten, dass wie beim parasympathischen System, zu dem der Vagusnerv gehört, auch im motorischen Nervensystem Acetylcholin als Neurotransmitter, als Botenstoff wirkt. Zuvor hatte Ulf von Euler Noradrenalin als Transmitter im sympathischen Nervensystem, dem Gegenspieler des parasympathischen Systems, identifiziert und dessen Lagerung in kleinen, intrazellulären Bläschen innerhalb der Nervenendigung nachgewiesen, aus denen es bei einem Nervensignal in den synaptischen Spalt zwischen dem Nervenkolben und der Rezeptorzelle abgegeben wurde. Neurotransmittermoleküle werden nicht einzeln in den synaptischen Spalt geschleust oder gepumpt, sondern in ganzen Paketen freigesetzt, in dem auf das ankommende elektrische Signal hin ein in der Nervenendigung bereitliegendes Bläschen innerhalb von Millisekunden mit der Zellmembran verschmilzt. Julius Axelrod schließlich untersuchte den Kreislauf des Neurotransmitters Noradrenalin und seine verschiedenen Vorstufen und Abbauprodukte, von den Synthesewegen in Leber und Nervenzelle über die Freisetzung beim Nervensignal bis zum Schicksal im Spalt und in der Rezeptorzelle. Er konnte schon früh die verschiedenen Enzyme identifizieren, die freigesetztes Noradrenalin abbauten. Aber seine genauen Analysen zeigten auch, dass die Reaktionen dieser Enzyme viel zu langsam waren, um das schnelle Ende der Wirksamkeit des Neurotransmitters zu erklären: Der weitaus größte Anteil des Botenstoffs wird nicht abgebaut, sondern unmittelbar wieder von der Nervenendigung aufgenommen, aus der er freigesetzt wurde. Es gibt also ein Recycling von Neurotransmittern am synaptischen Spalt.Alle drei Forscher, die nie zusammenarbeiteten, haben mit ihren Studien die moderne Pharmakotherapie entscheidend vorangetrieben. Neurotransmitter sind an allen Lebensvorgängen beteiligt, das autonome Nervensystem ist zum Beispiel in die andauernde Kontrolle des Kreislaufs involviert. Die beschriebenen Mechanismen des Neurotransmitterstoffwechsels ergaben völlig neue Möglichkeiten, mit Arzneistoffen in die neurohumorale Steuerung einzugreifen, und erschlossen die Wirkung zahlreicher bekannter Drogen als ein solches Eingreifen. Als Axelrod sich in den 1990er-Jahren einer Bypass-Operation unterzog, waren es die mit seinen Forschungen möglich gewordenen Kreislaufinterventionen mit Katecholaminen, die eine erfolgreiche Operation ermöglichten. Von einer Versorgung des Körpers mit künstlichen Stoffen, die wie Neurotransmitter wirken, über eine Blockade des enzymatischen Abbaus oder der Wiederaufnahme von Neurotransmitter in Nervenzellen stehen der Pharmakologie von der Herz-Kreislauf-Regulation bis zu den Psychopharmaka und halluzinativen Drogen eine Vielzahl von Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung.C. Borck
Universal-Lexikon. 2012.